Lob des Schattens
Das Alter (so nennen es die anderen)
ist vielleicht die Zeit unserer Glückseligkeit.
Das Tier ist gestorben oder fast gestorben.
Ich lebe unter lichten und vagen Formen,
die noch nicht die Dunkelheit sind.
Buenos Aires,
das sich früher bis zur endlosen Ebene
in Vorstädte aufspaltete,
ist nun wieder Recoleta, Retiro,
die unscharfen Straßen des Elften
und die baufälligen alten Häuser
dessen, was wir immer noch den Süden nennen.
In meinem Leben waren immer zu viele Dinge;
Demokritos von Abdera riß sich die Augen aus, um zu denken;
die Zeit war mein Demokritos.
Dieses Halbdunkel ist gemächlich und tut nicht weh;
es fließt einen sanften Abhang hinab
und gleicht der Ewigkeit.
Meine Freunde habe keine Gesichter,
die Frauen sind so, wie sie vor Jahren waren,
die Ecken sind vielleicht andere,
auf den Seiten der Bücher sind keine Buchstaben mehr vorhanden.
All dies sollte mich erschrecken,
doch ist es eher eine Süße, eine Rückkehr.
Von den Generationen von Texten, die es auf der Erde gibt,
werde ich nur einige wenige gelesen haben,
die, welche ich weiter in der Erinnerung lese,
lese und verwandle.
Vom Süden, vom Osten, vom Westen, vom Norden kommend,
treffen die Wege zusammen, die mich
zu meiner geheimen Mitte geführt haben.
Diese Wege waren Echos und Schritte,
Frauen, Männer, Qualen, Auferstehungen,
Tage und Nächte,
Halbträume und Träume,
jeder geringste Augenblick von gestern
und vom Gestern der Welt,
das feste Schwert des Dänischen und der Mond des Persischen,
die Handlungen der Toten,
die geteilte Liebe, die Worte,
Emerson und der Schnee und so viele Dinge.
Jetzt kann ich sie vergessen. Ich nähere mich meiner Mitte,
meiner Algebra und meinem Schlüssel,
meinem Spiegel.
Bald werde ich wissen, wer ich bin.
Jorge Luis Borges
treo - 14. Jun, 20:39

eingelangt in stille und natur
auszeit
eintauchen in die unsichtbare mitte der dinge
fühlst du die vibration des universums?
ich habe veronika getroffen
nach über vier jahren
sie hat ihren krebs überstanden
ihren mann an einen andern verloren
ihre tochter hat sich von ihr abgewandt
wir sitzen in der abendsonne und bedürfen der worte nicht
um gott und welt zu bereden
ich halte ihre hand
sie ist warm
weich
sanft
die hand eines mädchens von 65 jahren
ich sehe die adern unter der weißen haut
wie das geflecht eines sich verlierenden flusses
der dem delta
sich nähert
der mündung
ins umfassende meer
nun sinkt die sonne mit sanftem seufzen unter den blauschwarzen waldrand
aus dem haus der gong
er wird uns zur abendmeditation rufen
und dann
und dann
und dann
treo - 14. Jun, 20:23